Der Seiltanz des Lebens

Für mich ist es eine große Herausforderung die richtige Balance zu finden. Die Balance zwischen Erholung und Arbeit, zwischen zu viel sozialen Kontakten und zu wenig Zeit mit Freunden. Die Balance zwischen gesundem Essen (und damit teilweise empfundenen selbstauferlegten „Verboten“) und Genussmomenten. Zwischen ausreichend Sport und genug Regenerationszeiten für den Körper. Zwischen Empathie und Unterstützung für andere Menschen und gesundem Selbstschutz. Zwischen „Ich will die Welt retten“ und Selbstfürsorge. Zwischen Festhalten an und Stehen zu meinen Überzeugungen und Offen und Lernbereit sein gegenüber anderen Meinungen und Weltanschauungen. Zwischen Glauben und Intellekt. Zwischen Selbstbewusstsein und dem Anerkennen meiner Schwächen. Zwischen der Akzeptanz meiner Erkrankung und der Hoffnung auf Besserung und Gesundheit. Zwischen Schulmedizin und ganzheitlicheren Ansätzen. Zwischen zu früh und zu spät zum Arzt zu gehen, wenn man neue Symptome hat. Zwischen Annahme und liebevoller Kritik…

Diese Liste könnte fast ewig weitergehen. Und sie sieht wohl bei jedem Menschen anders aus.
Was fordert euch heraus? In welchen Bereichen fällt es euch schwer eine gute Balance zu finden?

Ich hatte vor ein paar Wochen tatsächlich die Tendenz aufzugeben. Und zwar im Bereich gesunder Ernährung. Seit Mitte des Jahres nehme ich an einem Ernährungskurs teil. Einmal im Monat gibt es Input über verschiedene Lebensmittel, was gesund ist und was lieber vermieden werden sollte. Und das über ein ganzes Jahr hinweg. Ich hab‘ mir gedacht, dass ich vielleicht noch ein bisschen was lernen kann, auch wenn ich mich mit diesem Thema schon intensiv befasst hatte. Außerdem war es ein kostenloses umfangreiches Angebot und ich war einfach gespannt, was in diesem Kurs weitergegeben wird. Nach den ersten 3 Einheiten war es bei mir allerdings soweit, dass ich das Gefühl hatte, nichts mehr Essen zu dürfen, weil alles ungesund ist. Ich wusste zwar eigentlich aus welcher „Überzeugungsrichtung“ die Dozentin kommt und dachte, ich weiß, was auf mich zukommt, war dann aber doch bei einigen Themen überrascht und fand vieles noch deutlich extremer, als ich es in Erinnerung hatte. Und aus dieser Überforderung und vielleicht auch aus Mangel an wirklich alltagstauglichen Tipps, fiel es mir immer schwerer, meine mir bis dahin selbst erarbeitete Ernährungsweise, die ich für mich als gut befunden hatte, weiter aufrecht zu erhalten. Ich hatte einfach das Gefühl, dass vieles meiner Ernährungsweise sehr ungesund ist, hatte aber auch keine Ahnung, wie ich jetzt noch etwas daran ändern könnte, das auch wirklich umsetzbar und mit meinem Budget bezahlbar wäre. Das hat dazu geführt, dass ich immer weniger darauf geachtet hab, was ich esse, weil es ja sowieso egal ist und sowieso alles ungesund ist. Mittlerweile hab ich mir allerdings einfach ein Thema ausgesucht und versuche daran zu arbeiten. Stück für Stück und so, wie es mir möglich ist. 😊

Zurück zur Balance: Als ich im Nachhinein die Fotos von meinem Shooting angeschaut hab, ist mir etwas bewusst geworden: Ich hatte selten die „absolute“ Balance beim Laufen auf der Schiene. Meistens musste ich etwas Gegenlenken, dann wieder zurück, dann war es etwas besser, dann wackelte ich plötzlich wieder so stark, dass ich fast komplett die Balance verloren hab‘ – usw.
In diesem Moment hab ich realisiert, dass es im Leben ganz genauso ist: wir werden selten Momente erleben, in denen wir in all diesen Bereichen die richtige Balance gefunden haben. Wir werden immer mal wieder in die ein oder andere Richtung korrigieren müssen. Gerade auch, weil unser Körper an verschiedenen Tagen verschiedene Bedürfnisse hat, bzw. mit unterschiedlichen Umständen konfrontiert ist. An einem Tag brauchen wir viel Ruhe, am nächsten Tag haben wir mehr Kraft und können wieder Sport machen und einige Aufgaben erledigen. An einem Tag haben wir die Möglichkeit und Zeit uns richtig gut und gesund zu ernähren, an einem anderen Tag ist es schlichtweg nicht möglich.

Deshalb ist es mir wichtig geworden, dass ich mir bewusst mache, dass das normal ist. Dass nicht jeden Tag alles möglich ist. Es ist normal immer wieder ein bisschen zu sehr auf die eine oder andere Seite zu tendieren, bzw vielleicht sogar komplett die Balance zu verlieren. Ich will dann nur nicht aufgeben. Ich will zurück auf die Schiene steigen. Ich will Gedenken wie: „Ich schaffe es ja sowieso nicht, mich gesund zu ernähren, da kann ich auch gleich aufgeben.“, oder auch: „ab jetzt darf es keine einzige Ausnahme mehr geben. Lieber hungere ich bis zum Umfallen, als dass ich nochmal den Fehler begehe, etwas Ungesundes zu essen.“, keinen Raum mehr geben.

Jedes Extrem kann großen Schaden bewirken. Sowohl für mich, als auch für andere. Also will ich nicht mehr verzweifeln, wenn ich es nicht geschafft hab, in Balance zu bleiben. Sondern ich will mir bewusst sein, dass es normal ist und immer mal wieder so sein wird. Kein Grund zum Aufzugeben, sondern nur ein Grund, mal wieder ein bisschen gegenzusteuern, oder wieder neu einzusteigen in den Seiltanz des Lebens. 😊

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht, wenn ihr aus der Balance gekommen seid?
Ich freu mich auf eure Kommentare!

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Laudatio für Ärzte & Co.

Das Gehörte

Ich glaube, wir haben fast alle Freunde, Bekannte oder Verwandte, die im medizinischen Bereich tätig sind. Und wir haben alle ihre Geschichten gehört – die Geschichten darüber, dass Stellen abgebaut werden, obwohl schon mit diesen Stellen die Arbeit kaum zu schaffen war. Oder darüber, dass diese unglaublich verantwortungsvollen Berufe (zumindest in der Pflege) in keinster Weise entsprechend entlohnt werden.

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Die Theodizee-Wut

Heute hatte ich einen meiner „Ich hasse dich, Gott!“-Momente. Ja, ich habe solche Momente und ich bin wirklich nicht stolz darauf…

Wie kam es dazu? Ich setzte mich ans Klavier, um zu singen. Die letzten Tage war meine Stimme, wenn ich versuchte zu singen, etwas besser gewesen. Und heute funktionierte sie wieder mal einfach gar nicht.

Da wurde ich echt wütend. Und aggressiv. Ich hätte am liebsten irgendwas zerschlagen. Ich war einfach sauer. Auf Gott.

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Herzensmenschen

Schon oft habe ich kleine Dankes-Hymnen an meine Freunde geschrieben. Schon oft war ich überwältigt von ihrer Liebe, von ihrem Feingefühl, von ihrer Wertschätzung. Immer wieder wurde mir neu bewusst, wie unglaublich kostbar meine Freunde und meine Familie sind.

Aber vielleicht war es mir zu keiner Zeit deutlicher bewusst, als während meiner Zeit im Krankenhaus. Während der Zeit, in der ich meine Diagnose bekam, in der die Therapie startete und meine Gefühle Achterbahn fuhren.

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