Teil 3/3
Leider waren meine „Krankheitsgeschichten“ im Juli noch nicht abgeschlossen. Im Juli und August ging es mir meistens recht gut, und wir genossen u.a. auch eine sehr schöne Wanderung bei uns im Fichtelgebirge. Ende August erlebte ich zum ersten Mal fast eine ganze Woche Fatigue. Das war eine ziemliche Herausforderung. Man ist nicht krank, hat aber tagelang keine Kraft, um irgendetwas nennenswertes zu machen. Ich fragte mich, ob das wieder aufhören würde, ob mein Gesundheitszustand je wieder stabiler werden würde und wie es denn werden würde – in dem Moment, in dem ich gerade wieder anfangen wollte mit dem Arbeiten. Mein erster Arbeitstag lag genau in dieser Fatigue-Woche. Ich überstand den Tag trotzdem relativ gut und war froh, dass ich am ersten Tag erst etwas später kommen sollte. Ich überlegte, ob ich mich so schwach fühlte, weil ich mir in dieser Zeit besonders viele Sorgen über die finanziellen Umstände und über die Zukunft gemacht hatte, wie zB meine Rente usw. Auch wenn man diese Zusammenhänge wohl nie wirklich beweisen kann, ist festzustellen, dass jegliche Art von Stress und Sorgen die Gesundheit negativ beeinträchtigen können. Auch relativ plötzlich.
Nur eine Woche später war die Hochzeit einer lieben Freundin, die wir musikalisch mitgestalteten. Ganz anders als sonst. Ich spielte Klavier und Synthies und sang nur 2. Stimme, so gut es ging. Eine Freundin und mein Bruder übernahmen den Hauptgesang. Ich war extrem aufgeregt (bin ich immer, wenn ich vor Publikum Klavier spiele) und wir übten oft (was ich für solche außergewöhnlichen Konzerte dringend brauche, damit ich mich halbwegs sicher fühle). Aber, Gott sei Dank, hat alles geklappt und wir hatten alle eine sehr schöne Hochzeit. Das Wochenende war recht voll und am Montag ging es gleich weiter. Wir putzten das Ferienhaus meiner Schwiegereltern und übergaben es an die nächsten Mieter, da Bennys Eltern zu der Zeit im Urlaub waren. Am Dienstag arbeitete ich und am Mittwoch früh fühlte ich mich schon sehr schlapp. Ich hatte einen Termin bei meiner Logopädin, den ich natürlich trotzdem wahrnahm und danach waren wir zum Mittagessen bei Bennys Bruder eingeladen. Tja, das Alles war wohl doch etwas viel des Guten gewesen. Am Mittwoch Abend ging es mir richtig schlecht. Ich bekam Fieber. Nicht sehr hoch und auch nicht sehr lang, am nächsten Morgen fühlte ich mich schon etwas besser. Meine Hausärztin war gerade im Urlaub, also schrieb ich mal wieder meinem Nephrologen eine eMail. Er meinte, ich solle erst mal nichts unternehmen, solange das Fieber und/oder die Muskelschmerzen nicht schlimmer würden. Bis zum Wochenende ging es mir deutlich besser und ich dachte, dass ich den Mist diesmal recht schnell überstanden hätte. Mööp. Zu früh gefreut. Am Montag ging es erst so richtig los. Montag Abend knapp 39 Fieber. Benny machte mir Wadenwickel, Stirn kühlen… Nichts half. Das Fieber ging über Stunden nicht weg. Erst mit Tabletten (die ich eigentlich vermeiden wollte), wurde es nach einiger Zeit endlich besser! Deshalb dachte ich, dass ich jetzt wohl wieder ins Krankenhaus muss. Eine Vorstellung, die immer wieder leichte Panik in mir aufkommen lässt. Auch wenn ich nicht ganz genau weiß, warum. Also packte ich am Dienstag früh meine Sachen fürs Krankenhaus zusammen und rief meinen Arzt an. Der meinte aber, dass ich nicht ins Krankenhaus kommen sollte, sondern zu ihm in die Ambulanz zum Blutabnehmen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie glücklich ich war, dass er mich nicht ins Krankenhaus geschickt hat :D! Am Donnerstag bei der Untersuchung erklärte er mir, dass er, soweit möglich, eine stationäre Behandlung bei mir vermeiden möchte, da er Bedenken hätte, dass ich mich im Krankenhaus mit Corona infizieren könnte. Ich war ihm sehr dankbar für seine Offenheit und deshalb umso erleichterter, nicht ins Krankenhaus zu müssen, nachdem meine Blutwerte auf einen normalen Infekt deuteten.
Ganz ehrlich: ich bin extrem dankbar, dass mich dieser Nephrologe behandelt. Ich hatte im letzten Jahr mehrfach das Gefühl, dass Ärzte Angst vor mir oder vor Behandlungen allgemein hatten. Und das nicht nur, wenn ich Corona ähnlicheSymptome hatte. Ich will niemandem einen Vorwurf machen, ich fühle mich selbst ja auch oft ängstlich und von der Situation überfordert. Aber ich möchte hervorheben, dass mein Nephrologe mir immer einen Termin gegeben hat, nie Angst hatte sich anzustecken und mich mal lieber schnell ins Krankenhaus geschickt hat, damit er keinen Aufwand o.ä. mit mir hat. Somit hat er mich im letzten Jahr mehrfach vor einem unnötigen Krankenhaus-Aufenthalt „gerettet“ und mir einige Röntgenstrahlen und Antibiotika-Behandlungen erspart. Das schätze ich enorm.
Aber zurück zum Infekt: den konnte ich tatsächlich mit Geduld aussitzen, ohne weitere Maßnahmen. Nach insgesamt ca. 2 Wochen, fühlte ich mich wieder fit genug zu arbeiten und konnte langsam wieder am normalen Leben teilhaben. Gerade rechtzeitig für Bennys Geburtstag, den wir im engen Freundes- und Familienkreis feierten. Nach der Feier hatte ich allerdings nochmal mit Fatigue zu kämpfen… Und in diesen Tagen war ich seelisch mal wieder ein einem Tiefpunkt angekommen. Es war so schwer damit klar zu kommen, dass ich ständig krank werden könnte. Und dass so ein leichter Infekt, den ich noch bis vor einem Jahr vielleicht gar nicht weiter bemerkt hätte, mich 2 Wochen oder länger flach legen konnte. Und jedes Mal die Angst davor, dass es etwas Schlimmeres werden könnte. Dass ich vielleicht doch ins Krankenhaus muss und weitere böse Diagnosen anstehen…
Auch die Einsicht, dass sich meine Gesundheit immer noch nicht wirklich stabilisiert hatte, machte mir zu schaffen. Und dann kam das Gefühl dazu, dass meine Freunde langsam auch nicht mehr an mich dachten. Oder vielleicht auch einfach mit der Situation überfordert waren, weil das alles kein Ende zu nehmen schien. Ich hatte das Gefühl, dass meine Freunde mich nicht mehr mochten, sich mein Gejammere nicht mehr anhören wollten, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollten. Ich wünschte mir mehr Anrufe, mehr Nachrichten mit ehrlicher Anteilnahme. Benny versuchte ständig mich aufzuheitern und meine Gedanken mit mir differenziert zu betrachten. Ob ich mich jetzt nur so fühlte, weil es mir schlecht ging und ich vielleicht ein besonderes Aufmerksamkeitsbedürfnis hatte, aber ansonsten eigentlich alles normal war – wie immer eben, oder ob da wirklich was dran war an meinen Gefühlen. Ich weiß nicht, ob ich so richtig zu einem Ergebnis kam. Wahrscheinlich war es tatsächlich nicht viel anders als sonst. Allerdings rief mich so ziemlich am Tiefpunkt dieser Phase eine Freundin an, mit der ich zwar sehr gut befreundet bin, wir aber schon immer nur sehr sporadischen Kontakt hatten. Ich hatte sie seit meiner Zeit im Krankenhaus nicht mehr gesehen. Sie fragte mich, ob sie mich spontan besuchen kommen dürfte. Ich sagte natürlich sofort zu und freute mich riesig. Am selben Tag kamen dann spontan auch noch mein Bruder und ein anderer Freund vorbei. Wir hatten eine echt gute Zeit und extrem gute Gespräche. Zwei Tage später fragte ein weiterer Freund, ob er uns mal wieder besuchen könnte. Es war wie Balsam für meine Seele. So viele Besuche, ohne dass man Leute explizit einlädt und für sie kocht oder bäckt, waren sehr ungewöhnlich und bereiteten mir unheimlich viel Freunde. Es war, als ob Gebete oder Wünsche erfüllt wurden, die ich nie konkret ausgesprochen hatte, und ganz sicher hatte ich sie keinem meiner Freunde erzählt. Freunde zur rechten Zeit am rechten Ort können die Welt heller werden lassen und die Bekki fröhlich machen ;).
Es ging mir also wieder besser, aber trotzdem merkte ich, dass ich wirklich gut aufpassen muss. Einen Tag mal etwas mehr gearbeitet (auch wenn es sich gut anfühlte), und schon konnte es sein, dass ich am Tag darauf oder mehrere Tage kaum etwas machen konnte. Und es wurde tatsächlich etwas komplizierter durch die Tatsache, dass unsere Mitbewohnerin Anfang November auszog. Auf der einen Seite war das für mich zwar eine große Erleichterung, da ich in den letzten Monaten bemerkt hatte, dass ich durch mein vermehrtes Ruhebedürfnis lieber in keiner WG mehr wohnen wollte, um selbst bestimmen zu können, wann andere Menschen mit bei mir Zuhause sind, und wann nicht. Deshalb tat mir die neu gewonnene „Freiheit“ sehr gut. Auf der anderen Seite hatten wir dadurch deutlich mehr Kosten zu tragen, was mir wiederum innerlich Druck machte, so viel wie möglich zu arbeiten. Auch in eine kleinere Wohnung zu ziehen wäre im Moment nicht wirklich eine Option, da ich 1. (noch) keine Kraft dafür hätte und 2. uns diese Wohnung hier sehr gut gefällt und etwas vergleichbares (auch mit weniger qm) würde sogar teurer sein, als unsere jetzige Bleibe. In dieser Spannung zu leben und gleichzeitig seine Kräfte gut einzuteilen und sich nicht zu übernehmen, ist sehr herausfordernd. Trotz allem haben wir es geschafft zu zweit (es war ja schon wieder Lockdown), unser Schlafzimmer umzuziehen und unsere Wohnung umzugestalten. Nach dem Schleppen eines schweren Schranks, musste ich zwar wieder eine Zeit mit Fatigue kämpfen, aber wir haben es geschafft und schlafen nun in einem schönen, geräumigen und viel ruhigeren (weil nicht mehr zur Straßenseite hin gelegenen) Schlafzimmer, das einen begehbaren Kleiderschrank hat :).
Die Adventszeit konnte ich richtig genießen. Irgendwie schaffte ich es, mir nicht so viel Arbeitsdruck zu machen und hatte so eine ruhige Advents- und Weihnachtszeit. Ich dekorierte nach Lust und Laute, besorgte und verpackte Geschenke und das alles fast immer ohne Druck und nur, wenn ich Kraft und Muse dazu hatte. Dazu hat der Lockdown sicherlich auch einen großen Teil beigetragen… Benny und ich saßen abends am Adventskranz, manchmal mit Kinderpunsch ;), zündeten Kerzen und Räucherkerzen an und lasen gemeinsam eine besinnliche und inspirierende Geschichte. Genau so hatte ich es in meiner Kindheit geliebt. Und erst jetzt hatten wir es zum ersten Mal geschafft, diese lieb gewonnen Familientraditionen neu zu beleben.
Ich erinnerte mich an das letzte Jahr, meine Zeit im Krankenhaus, die Diagnose, den Schock, die Angst. Ich telefonierte mit meiner ehemaligen Bettnachbarin aus dem Krankenhaus und war so dankbar diese Zeit dieses Jahr so intensiv und mit relativ wenig Beschwerden genießen zu dürfen.
Ist das ein Happy End? Jein. Das erste Jahr mit Diagnose hörte gut auf und ich hoffe und bete, dass es so weiter geht, bzw. noch besser wird. Allerdings habe ich trotzdem noch Beschwerden. Ich habe seit Februar 2020 Husten mit Auswurf und keiner weiß, wo er herkommt und ob er wieder geht. Ich habe durch diesen Husten manchmal das Gefühl nicht so ganz gut Luft zu bekommen, was gerade in Corona-Zeiten ein echt beschissenes Symptom ist, weil man schnell Angst bekommt, sich irgendwo angesteckt zu haben. Ich habe manchmal Schmerzen im Brustbereich, manchmal Bauchschmerzen, manchmal Kopfschmerzen, Schwindel, Muskelschmerzen, juckende Pusteln am Körper, Hautpilz an verschiedenen Stellen… Und natürlich muss ich weiterhin meine Kräfte sehr gut einteilen und aufpassen, dass ich mich nicht übernehme. Und keiner kann mir wirklich sagen, wo alle diese Symptome herkommen (abgesehen vom Pilz, der wohl durch die Immunsuppression verursacht ist). Aber es gibt auch viele gute Tage, an denen ich von diesem Symptomen fast nichts merke, oder sie so leicht sind, dass ich recht gut damit klarkomme. Ich bin also noch lange nicht da, wo ich gern wäre, aber ich lerne, mit der Situation klar zu kommen, damit gut umzugehen, und versuche mir meine Freude zu bewahren und dankbar zu sein. Dazu passt, zum Abschluss, perfekt dieses Gedicht, das mir aus der Seele spricht, und das ich euch nicht vorenthalten kann:
Ich übe noch
Jedem Morgen begegnen mit sanftem Mut, den das Leben braucht, um zu wachsen, ich übe noch. In jedem Auge die Seele sehen, durch alle Masken hindurch und ihr trauen, ich übe noch. Hinter allen Ängsten Wahrheiten finden, mir selber glauben, ich übe noch. In tiefem Staunen die Schönheit atmen des Augenblicks und des Lebens selbst, ich übe noch. Durch alle Narben hindurch das Glück spüren, den Wandel erlauben, immer neu, ich übe noch. Sein ohne zu fragen, im Fluss des Lebens und alles Lebendige zu schützen ohne Wenn und Aber, ich übe noch. Den Lebensdank groß werden lassen und spürbar und bunt, um gehen zu können, jederzeit, ich übe noch. Lieben im Pulsschlag der Zeit wider alle Vernunft mit aller Hingabe, ich übe noch.
Sabine Rachl (aus Mirjam Schambeck, Elisabeth Wöhrle: Im Innern barfuß. Auf der Suche nach alltagstauglichem Beten.)
Beitragsfoto vom wunderbaren @baer_lukas .