
Einblicke in mein Leben mit einer Angststörung
In letzter Zeit habe ich oft an meine 12 Jahre mit einer Angststörung gedacht. Und nachdem ich euch hier in einem anderen Beitrag schon geteasert hab und ich weiß, dass so viele davon betroffen sind, hab ich mich entschieden, euch meine Geschichte zu erzählen. Und diese Geschichte, also der Moment, ab dem ich mich gefragt habe, was mit meinem Körper los ist, begann im Herbst 2008. In der vorangehenden Zeit hatten wir ein neues Album produziert und aufgenommen, waren in verschiedenen Studios unterwegs gewesen und hatten mit unterschiedlichsten Produzenten zusammengearbeitet. Außerdem starb der Bruder einer meiner besten Freundinnen. Zudem gab es zwischenmenschliche Konflikte in meinem Arbeitsumfeld, die mich als sehr harmoniebedürftigen Menschen ziemlich belastet haben.
Währenddessen erlebte ich zum ersten Mal, dass ich nachts aufwachte und kleinere Panikattacken hatte. Der Gedanke, dass ein mir nahestehender Mensch sterben könnte, ließ Panik in mir aufsteigen. Und dann erinnere ich mich genau an dieses eine Konzert in Sachsen Anhalt. Wir hatten gerade mit dem 1. Lied begonnen, als ich merkte, dass ich dringend zur Toilette muss. Ich wunderte mich noch, dachte mir aber nicht viel dabei. Ich gab unserem Gitarristen, meinem Bruder, leise Bescheid, und verschwand zum stillen Örtchen. Dort stellte ich fest, dass ich zwar das Gefühl hatte, zur Toilette zu müssen, aber tatsächlich war das nicht der Fall. Ich ging zurück auf die Bühne und wenige Minuten später stellte sich das dringende Bedürfnis erneut ein. Soweit ich weiß, habe ich die Bühne kein weiteres Mal verlassen und konnte das Gefühl irgendwann ignorieren, indem ich mir sagte, dass ich mir das nur einbildete.
Was ich in diesem Moment jedoch noch nicht wusste, war die Tatsache, dass dieses Gefühl mich von nun an ständig begleiten würde, sobald ich nicht mehr die Freiheit hatte, jederzeit zur Toilette gehen zu können. Also während unserer Konzerte, während ich im Auto unterwegs war, während ich zu Fuß unterwegs war, usw. Also eigentlich immer – sobald ich nicht wusste, ob eine Toilette in der Nähe ist, bzw. wusste, dass KEINE Toilette in der Nähe ist, oder ich zum Beispiel auf der Bühne stand und deshalb nicht „weg“ konnte.
So begann meine Reise mit der Angststörung. Und jede Person, die selbst schon etwas Ähnliches erlebt hat, weiß, wie das Spielchen läuft. Am Anfang steht ein Gefühl, oder ein Erlebnis, woraus sich eine Angst entwickelt, die wiederum schnell zur Panik wird – und so entsteht eine Angst vor der Angst. Ein Teufelskreis.
Ich hatte also Angst vor der Angst. Wollte diese Angst nicht erleben. Deshalb entwickelte ich Strategien. Wenn ich wusste, dass eine längere Autofahrt anstand, weil wir zb ein Konzert hatten, aß und trank ich nichts. Ich wollte ja sichergehen, dass ich nicht zur Toilette muss. Und natürlich ging ich IMMER ganz kurz bevor wir losfuhren zur Toilette. Wenn sich die Abfahrt dann doch noch unerwartet verzögerte, musste ich dann zb 10 Minuten später erneut gehen. Leider waren aber all diese Maßnahmen dem Gefühl egal. So blieb nur noch ein Mittel: Ablenkung.
Ihr müsst wissen, dass ich sehr gerne lese. Besonders wenn ich Romane lese, tauche ich voll und ganz in diese andere Welt ein und habe kaum noch ein Bewusstsein für die reale Welt. 😊
Also packte ich Romane ein für die Fahrt. Trotz der Romane und allen anderen Vorbereitungen, waren die Angst und der innere Druck jedoch so groß, dass wir alle 30 Minuten anhalten mussten, damit ich zur Toilette gehen konnte. Und selbst die 30 Minuten waren eine Herausforderung für mich.

Unsere Band war so wichtig für mich, dass ich mich von meinen Ängsten nicht habe abhalten lassen, Musik zu machen, unterwegs zu sein und Konzerte zu spielen. Aber ich kann alle verstehen, die mit so einer Angststörung irgendwann einfach nur noch zuhause bleiben. Ich weiß nicht, ob eine Person, die so etwas noch nicht erlebt hat, nachvollziehen kann, wie viel Kraft es kostet, gegen diese Ängste vorzugehen, sie auszuhalten, und trotz allem halbwegs „normal“ weiterzuleben. Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich jetzt noch die Kraft dafür hätte, diesen Kampf zu kämpfen:
Auf der einen Seite die Vorfreude auf jedes Konzert, jede Tour, jeden Urlaub und auf der anderen Seite die Angst. Angst vor der Angst. Vor Panikattacken.
Im Auto hatte ich, Gott sei Dank, nur einmal eine richtige Panikattacke. Aber da dachte ich echt: „Jetzt ist alles zu spät, jetzt geht‘s in die Hose.“ Und das in einem Auto, das nicht mal mir gehörte. Ich hab geschrien. Hatte solche Panik… Das war dann allerdings auch der Moment, in dem ich erlebte, was meine Psychologin versucht hatte mir klarzumachen: wenn du eine Panikattacke hast, ist dein Körper komplett angespannt. Wasserlassen kannst du allerdings (zumindest normalerweise) nur, wenn du dich ENTspannst. Deshalb nennt man dieses Vorgehen ja auch „sich erleichtern“.
Was war passiert? Nichts. Und als ich dann kurz später irgendwo hinter einem Busch saß, kam auch nichts. Ich war viel zu angespannt.
Während unserer Konzerte hatte ich allerdings immer wieder Panikattacken. Keine so exzessiven, wie die im Auto, aber schlimm genug. Irgendwie konnte ich mich dann doch immer, bevor es richtig extrem wurde, auf andere Gedanken bringen und mich auf die Musik fokussieren…
Trotzdem war es jedes Mal ein kleiner innerer Zusammenbruch. Etwas, das äußerlich niemand gesehen hat, aber das ich in diesem Moment ganz alleine durchleben und aushalten musste. Das Gefühl von TOTALEM Kontrollverlust. Das Gefühl von einem innerlichen endlosen Fall. Etwas, von dem man denkt, dass es wahnsinnig macht. Ein starker Fluchtreflex, dem ich nicht nachgehen konnte und wollte. Etwas, das unglaublich viel Energie raubt. – Irgendwann die Erleichterung, dass es vorbei ist. Aber auch die Angst, dass die Angst wiederkommt. Und ein Gefühl von Versagen. Weil ich diesem Gefühl, von dem ich wusste, dass es lügt, Raum gegeben hatte. So viel Raum, dass es mich in Panik versetzen konnte. Warum?
Und jeden Tag erneut die Angst und die Hoffnung, nicht wieder eine Panikattacke zu haben.
Falls du dich fragst, was ich dagegen unternommen habe:
Ich schätze, dass ich mindestens 6 Monate überhaupt nicht wusste, dass ich eine Angststörung habe und was das ist. Leider hat mir damals niemand gesagt: „Geh zum Psychologen!“. Ich hatte auch keine Ahnung, wie viele andere Menschen dieses Schicksal mit mir teilen. Ich dachte einfach, dass mein Körper spinnt und hoffte, dass er von selbst wieder damit aufhören würde.
Nachdem ich diese Angststörung ca ein Jahr hatte, habe ich mir dann endlich psychologische Hilfe gesucht. Die logischen Erklärungen, die ich oben schon erwähnte, waren durchaus hilfreich und die Abstände, in denen wir während der Autofahrten anhalten mussten, wurden deutlich länger. Ich musste mich auch nicht mehr ständig ablenken.
Trotzdem hatte ich immer noch diese Angststörung und es gab Tage, an denen hatte diese mich weiterhin in der Hand. Die Panikattacken waren nicht weg, aber deutlich seltener.
Ich fing an Sport zu machen, mich gesünder zu ernähren, mehr auf meinen Körper zu achten, mir mehr Pausen zu gönnen, achtsamer zu sein. Ich konnte mittlerweile wieder relativ normal leben, mit diversen Vorsichtsmaßnahmen. Allerdings gab es, wenn auch selten, trotzdem hin und wieder Tage, an denen die Angst plötzlich wieder präsent war und dann auch schnell zu einer Panikattacke wurde.
Irgendwann kamen meine Stimmprobleme. Es fing alles ganz langsam an und ich konnte es bestimmt 2 Jahre lang gut ignorieren. Aber dann kam der Moment, in dem ich es nicht mehr leugnen konnte, dass meine Stimme ein riesiges Problem hat. Damit wurde die Angst, dass meine Stimme versagt und ich schlecht singe, größer, als die Angst zur Toilette zu müssen.

Zusätzlich kamen andere Symptome auf, u.a. dass ich plötzlich ohnmächtig wurde. In diesem Moment merkte ich, dass ich aufpassen musste nicht eine weitere Angststörung zu entwickeln, nämlich die Angst davor ohnmächtig zu werden. Wenn ich die Erfahrung mit meiner ersten Angststörung nicht gehabt hätte, wäre das wahrscheinlich passiert. Aber so hatte ich irgendwie ein gutes Gefühl, wie ich dem Ganzen gegensteuern konnte, und habe, Gott sei Dank, keine zweite Angststörung entwickelt.
Ich fing dann an mit verschiedenen Methoden die Angststörung und die Angst vor meinem schlechten Gesang zu bekämpfen. Zum Beispiel, indem ich versuchte wieder positive Synapsen in meinem Kopf herzustellen, indem ich mir vorstellte unterwegs zu sein, oder ein Konzert zu haben und dabei nur positive Gefühle zu haben. Aber so gut diese Methode bestimmt grundsätzlich sein mag, in meinem Fall hat sie nicht wirklich geholfen, v.a. da meine Stimmprobleme leider Realität waren und nicht einfach mit positiven Synapsen wegzudenken waren. Ich hatte das Gefühl, dass die seelischen Belastungen immer stärker wurden und meine Kräfte immer mehr nachließen.
Die meisten von euch wissen ja, dass ich gläubig bin, dass mir mein Glaube wichtig ist und viel Halt gibt. Auch in diesen verzweifelten Situationen betete ich viel und auch andere beteten für mich und mit mir. Wir beteten und hofften, dass die Angststörung und die Panikattacken aufhören und dass meine Stimme wieder normal funktioniert. Gerade in der Zeit, in der es am schlimmsten war, war ich sehr verzweifelt und hab nicht verstanden, warum Gott mir nicht hilft. Ich hab ja vorhin schon geschrieben, dass ich mich auf der Bühne mit den Panikattacken ganz allein gefühlt hab…
Natürlich könnte man jetzt im Nachhinein sagen, dass ich alle diese Panikattacken überstanden habe, trotzdem weitergemacht habe, mir nicht die Kraft ausgegangen ist und ich auch keinen Nervenzusammenbruch hatte. Vielleicht ist das sogar ein Wunder…
Auf der anderen Seite weiß ich, dass ich zumindest im direkten Moment der Panikattacke überhaupt nicht das Gefühl hatte, dass ich getragen und gehalten bin. Ich fühlte mich einfach komplett allein und hilflos. Diese Momente gab und gibt es und sie sind einschneidend. Und ich habe auch keine Antwort, warum das so ist.
Falls es euch interessiert, könnt ihr in meinem Artikel „Die Theodizee-Wut“ nachlesen, warum ich trotzdem die Hoffnung und Gewissheit habe, dass ich in diesen Momenten nicht allein war, auch wenn ich es nicht gespürt habe.
Wie ging’s weiter? Nach 2 Jahren heftiger Symptome bekam ich ja schließlich die Diagnose Systemischer Lupus erythematodes. Kurz nach der Diagnose hatte ich noch ein Mal eine kleinere Panikattacke. Und dann ist die Angststörung irgendwie verschwunden. Ich kann euch auch nicht sagen, warum und wie. Aber Tatsache ist, dass ich jetzt seit bestimmt 4 Jahren eigentlich keine Probleme mehr habe. Selbst meine „Sicherheitsmaßnahmen“, die ich mir über die Jahre angewöhnt habe, also z.B. immer bevor ich irgendwohin gehe zur Toilette zur gehen, lasse ich teilweise weg. 😊
Ich bin wirklich extrem dankbar, weil ich irgendwann gar nicht mehr damit gerechnet hattee, dass das je wieder verschwindet. Und wenn ich jetzt unterwegs bin, dann freue ich mich manchmal riesig, dass ich wieder so entspannt sein kann und es mich keine Kraft mehr kostet, unbekanntes Gebiet zu erkunden.
Ich habe hier heute sehr offen meine Geschichte geteilt und hoffe, dass ich damit vielleicht manchen Leser*innen Hoffnung machen kann, und ihr euch verstanden und gesehen fühlt. Ich freue mich immer über Kommentare und Erfahrungen und Tipps. Vielleicht hilft dein Tipp ja jemand anderem weiter. 😊
Zum Schluss noch eine Frage, die mich beschäftigt: glaubt ihr eigentlich, dass Autoimmunerkrankungen oder andere chronische Erkrankungen irgendwie mit Angststörungen zusammenhängen? Oder wisst ihr vielleicht von Studien, die belegen, dass Personen mit Angststörungen leichter zb Autoimmunerkrankungen entwickeln – oder anders herum?
Vielen Dank für’s Lesen und bis bald.
Der Seiltanz des Lebens
Für mich ist es eine große Herausforderung die richtige Balance zu finden. Die Balance zwischen Erholung und Arbeit, zwischen zu viel sozialen Kontakten und zu wenig Zeit mit Freunden. Die Balance zwischen gesundem Essen (und damit teilweise empfundenen selbstauferlegten „Verboten“) und Genussmomenten. Zwischen ausreichend Sport und genug Regenerationszeiten für den Körper. Zwischen Empathie und Unterstützung für andere Menschen und gesundem Selbstschutz. Zwischen „Ich will die Welt retten“ und Selbstfürsorge. Zwischen Festhalten an und Stehen zu meinen Überzeugungen und Offen und Lernbereit sein gegenüber anderen Meinungen und Weltanschauungen. Zwischen Glauben und Intellekt. Zwischen Selbstbewusstsein und dem Anerkennen meiner Schwächen. Zwischen der Akzeptanz meiner Erkrankung und der Hoffnung auf Besserung und Gesundheit. Zwischen Schulmedizin und ganzheitlicheren Ansätzen. Zwischen zu früh und zu spät zum Arzt zu gehen, wenn man neue Symptome hat. Zwischen Annahme und liebevoller Kritik…
Diese Liste könnte fast ewig weitergehen. Und sie sieht wohl bei jedem Menschen anders aus.
Was fordert euch heraus? In welchen Bereichen fällt es euch schwer eine gute Balance zu finden?
Ich hatte vor ein paar Wochen tatsächlich die Tendenz aufzugeben. Und zwar im Bereich gesunder Ernährung. Seit Mitte des Jahres nehme ich an einem Ernährungskurs teil. Einmal im Monat gibt es Input über verschiedene Lebensmittel, was gesund ist und was lieber vermieden werden sollte. Und das über ein ganzes Jahr hinweg. Ich hab‘ mir gedacht, dass ich vielleicht noch ein bisschen was lernen kann, auch wenn ich mich mit diesem Thema schon intensiv befasst hatte. Außerdem war es ein kostenloses umfangreiches Angebot und ich war einfach gespannt, was in diesem Kurs weitergegeben wird. Nach den ersten 3 Einheiten war es bei mir allerdings soweit, dass ich das Gefühl hatte, nichts mehr Essen zu dürfen, weil alles ungesund ist. Ich wusste zwar eigentlich aus welcher „Überzeugungsrichtung“ die Dozentin kommt und dachte, ich weiß, was auf mich zukommt, war dann aber doch bei einigen Themen überrascht und fand vieles noch deutlich extremer, als ich es in Erinnerung hatte. Und aus dieser Überforderung und vielleicht auch aus Mangel an wirklich alltagstauglichen Tipps, fiel es mir immer schwerer, meine mir bis dahin selbst erarbeitete Ernährungsweise, die ich für mich als gut befunden hatte, weiter aufrecht zu erhalten. Ich hatte einfach das Gefühl, dass vieles meiner Ernährungsweise sehr ungesund ist, hatte aber auch keine Ahnung, wie ich jetzt noch etwas daran ändern könnte, das auch wirklich umsetzbar und mit meinem Budget bezahlbar wäre. Das hat dazu geführt, dass ich immer weniger darauf geachtet hab, was ich esse, weil es ja sowieso egal ist und sowieso alles ungesund ist. Mittlerweile hab ich mir allerdings einfach ein Thema ausgesucht und versuche daran zu arbeiten. Stück für Stück und so, wie es mir möglich ist. 😊
Zurück zur Balance: Als ich im Nachhinein die Fotos von meinem Shooting angeschaut hab, ist mir etwas bewusst geworden: Ich hatte selten die „absolute“ Balance beim Laufen auf der Schiene. Meistens musste ich etwas Gegenlenken, dann wieder zurück, dann war es etwas besser, dann wackelte ich plötzlich wieder so stark, dass ich fast komplett die Balance verloren hab‘ – usw.
In diesem Moment hab ich realisiert, dass es im Leben ganz genauso ist: wir werden selten Momente erleben, in denen wir in all diesen Bereichen die richtige Balance gefunden haben. Wir werden immer mal wieder in die ein oder andere Richtung korrigieren müssen. Gerade auch, weil unser Körper an verschiedenen Tagen verschiedene Bedürfnisse hat, bzw. mit unterschiedlichen Umständen konfrontiert ist. An einem Tag brauchen wir viel Ruhe, am nächsten Tag haben wir mehr Kraft und können wieder Sport machen und einige Aufgaben erledigen. An einem Tag haben wir die Möglichkeit und Zeit uns richtig gut und gesund zu ernähren, an einem anderen Tag ist es schlichtweg nicht möglich.
Deshalb ist es mir wichtig geworden, dass ich mir bewusst mache, dass das normal ist. Dass nicht jeden Tag alles möglich ist. Es ist normal immer wieder ein bisschen zu sehr auf die eine oder andere Seite zu tendieren, bzw vielleicht sogar komplett die Balance zu verlieren. Ich will dann nur nicht aufgeben. Ich will zurück auf die Schiene steigen. Ich will Gedenken wie: „Ich schaffe es ja sowieso nicht, mich gesund zu ernähren, da kann ich auch gleich aufgeben.“, oder auch: „ab jetzt darf es keine einzige Ausnahme mehr geben. Lieber hungere ich bis zum Umfallen, als dass ich nochmal den Fehler begehe, etwas Ungesundes zu essen.“, keinen Raum mehr geben.
Jedes Extrem kann großen Schaden bewirken. Sowohl für mich, als auch für andere. Also will ich nicht mehr verzweifeln, wenn ich es nicht geschafft hab, in Balance zu bleiben. Sondern ich will mir bewusst sein, dass es normal ist und immer mal wieder so sein wird. Kein Grund zum Aufzugeben, sondern nur ein Grund, mal wieder ein bisschen gegenzusteuern, oder wieder neu einzusteigen in den Seiltanz des Lebens. 😊
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht, wenn ihr aus der Balance gekommen seid?
Ich freu mich auf eure Kommentare!
Morbus Crohn
Eine weitere Diagnose und Herausforderung…
In meinem letzten Artikel hatte ich schon erwähnt, dass im Herbst 2022 neue Untersuchungen anstanden. Wie kam es dazu?
Schon seit vielen Jahren hatte ich immer wieder Bauchkrämpfe. Mal weniger intensiv, mal sehr intensiv, so dass ich mich an manchen Tagen mehrmals aus dem Nichts heraus vor Schmerzen krümmte. So schnell die Schmerzen kamen, so schnell verschwanden sie auch meistens wieder. Aber in Zeiten, in denen sich diese Krämpfe häuften, machte ich mir dann doch Gedanken. Im November 2019, als ich meine Diagnose bekam, berichtete ich den Ärzten schon von diesen Schmerzen. Daraufhin bekam ich eine Magenspiegelung. Es wurde, warum auch immer, immer nur auf die Oberbauchschmerzen eingegangen, obwohl ich mehrmals betonte, dass die Schmerzen nicht nur im Oberbauch zu verorten seien. Allerdings war ich insgeheim auch immer wieder froh, dass nur von einer Magenspiegelung die Rede war und eine Darmspiegelung nie wirklich in Betracht gezogen wurde. Ich hatte schon viel von Darmspiegelungen gehört und der Leidensdruck war wohl noch nicht groß genug, um mich auf so etwas Unangenehmes einzulassen. In meinem Magen war damals alles in Ordnung und ich hatte die Hoffnung, dass mit den Lupus-Medikamenten auch die Bauchschmerzen aufhören würden.
Im März letzten Jahres war es dann aber wieder einmal ziemlich schlimm mit den Krämpfen. Mein Nephrologe überwies mich zu einem Gastroenterlogen und dieser schlug erneut eine Magenspiegelung vor. Auch wenn ich überrascht war, dass nicht gleich eine Magen- und Darmspiegelung gemacht werden sollte, war ich wieder erleichtert an der Darmspiegelung vorbeizukommen. Im Magen war jedoch auch bei dieser Spiegelung alles in Ordnung. In seinem Brief schlug der Gastroenterloge noch weitere Untersuchungen vor, allerdings nicht als dringend empfohlen, sondern eher als Möglichkeiten, sollte es nicht besser werden.
Nachdem ich ein paar Wochen später sowieso bei meiner Hausärztin war, um bestimmte Blutwerte checken zu lassen, erzählte ich auch ihr zum wiederholten Male von meinen Beschwerden. Daraufhin ließ sie zusätzlich die Werte der Bauchspeicheldrüse untersuchen. Relativ bald kam der Anruf, dass meine Bauchspeicheldrüsenwerte nicht in Ordnung wären. Nach Absprache mit meinem Nephrologen, wurde ich zu einem anderen Gastroenterologen geschickt. Dort wurde ein Ultraschall von meiner Bauchspeicheldrüse gemacht. Nachdem hier keine Auffälligkeiten zu sehen waren, meinte der Arzt, dass eine Darmspiegelung gemacht werden sollte. Ich wusste, dass in dieser Praxis grundsätzlich gerne Darmspiegelungen angeordnet werden, aber obwohl ich ahnte, dass eine Darmspiegelung wenig Aufschluss über den Zustand meiner Bauchspeicheldrüse geben würde, willigte ich mit dem Gedanken ein, dass es langsam wirklich höchste Zeit für eine Darmspiegelung wäre.
Jeder, der schon eine Darmspiegelung hinter sich gebracht hat, weiß, dass der unangenehmste Teil der Tag und die Nacht vor dem Eingriff ist. Die Zeit, in der literweise widerliches Abführmittel getrunken werden muss. Die Zeit, in der man ständig zur Toilette rennt. So erging es auch mir. Am Morgen vor dem Eingriff musste ich erneut einige Liter des Gebräus trinken. Ich hatte schon am Tag vorher bemerkt, dass ich enorm gegen Übelkeit zu kämpfen hatte. Aber zu dieser sehr frühen Stunde und obwohl ich alle Ratschläge der Arzt-Praxis gegen Übelkeit befolgte, konnte ich nichts mehr dagegen tun… Das ganze Abführmittel sprudelte aus mir heraus – jedoch leider auf der falschen Seite. Ab diesem Moment hatte ich natürlich unheimlich Schiss, dass die Untersuchung nicht stattfinden können würde, da mein Darm nicht komplett entleert war. Gott sei Dank konnte die Spiegelung dann trotzdem ohne Zwischenfälle und wie geplant stattfinden.
Leicht benebelt erwachte ich im sog. „Aufwachraum“. Als ich etwas klarer denken konnte, zog ich mich an und wurde in den Warteraum geschickt, um auf ein kurzes Arztgespräch zu warten. Als ich dran war, erklärte mir der Arzt, dass sie in meinem Darm 2 Entzündungen gefunden hätten. Eine im Dickdarm und eine im Dünndarm. Solche Entzündungen wären typisch für die Krankheit Morbus Crohn (eine chronisch entzündliche Darmerkrankung, ebenfalls autoimmun). Für eine feste Diagnose müsse man jedoch erst auf die histologischen Befunde warten.
Die Überraschung war groß, als ich erwähnte, dass mir die Krankheit bekannt sei. Ebenso überrascht war man, als ich nachfragte, ob das auch eine Erklärung für meine erhöhten Bauchspeicheldrüsen-Werte sein könnte. Da hatte man wohl gar nicht mehr dran gedacht. Nein, da gäbe es keinen Zusammenhang. Und als ich daraufhin noch bat, div. Stuhlproben zu nehmen, um einige Krankheitsbilder in Bezug auf die Bauchspeicheldrüse zu checken, wurde nur noch leicht entgeistert zugestimmt. 😉
Ich weiß, dass einige Ärztinnen und Ärzte nicht begeistert sind, wenn ihre Patienten und Patientinnen gut belesen in die Sprechstunde kommen. In meinem Fall hatten sie so etwas aber entweder noch nicht erlebt, oder aber, sie konnten sich nicht erklären, warum mich die (Verdachts-)Diagnose Morbus Crohn so wenig tangierte und ich auf meine Bauchspeicheldrüse pochte.
Naja, und so ganz genau konnte ich mir das auch nicht erklären. Es hatte wohl mehrere Gründe:
- Ich hatte damit gerechnet, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
- Ich wusste zwar, dass Morbus Crohn eine chronisch entzündliche Darmerkrankung ist, hatte mich aber natürlich noch nicht tiefergehend mit den Details befasst… 😛
- Ich dachte mir, dass ich diese Krankheit dann ja schon seit ca 10 Jahren habe, und bisher damit klargekommen bin, also werde ich auch weiterhin damit klarkommen, bzw. würden mir Medikamente vielleicht sogar helfen, weniger Schmerzen zu haben.
- Mein Papa hatte eine Bauchspeicheldrüsenentzündung, als ich 18 war. Am Anfang bestand Verdacht auf Krebs, was sich, Gott sei Dank, nicht bestätigte. Aber meine Bauchspeicheldrüse machte mir doch etwas Sorgen, nachdem ich bei meinem Papa gesehen hatte, wie viel von so einem kleinen Organ abhängt.
Wie ging es weiter? Nach ca. 1,5 Wochen ging es mir plötzlich ziemlich schlecht. Mir wurde bei jeder Bewegung übel und wenn ich aß, bekam ich heftige Krämpfe. Außerdem hatte ich keinen festen Stuhlgang mehr. Dieser unschöne Zustand zog sich über 2 Wochen, bis eine Freundin von mir die Morosche Karottensuppe und ein pflanzliches Medikament mit Myrrhe empfahl. Ich befolgte ihren Rat und meine Beschwerden verschwanden.
Während dieser harten 2 Wochen hatte ich auch meine Nachbesprechung beim Gastroenterologen bezüglich der histologischen Befunde. Er schaute sich seinen Computer-Bildschirm sehr intensiv an und erklärte mir dann, dass die Befunde kein Ergebnis gebracht hätten. Nachdem ich ihm von meinen Beschwerden erzählte und dass es mir wirklich nicht gut ginge, entgegnete er nur, dass man da nichts machen könne, weil meine Lupus Medikamente sich mit den Medikamenten gegen Morbus Crohn nicht vertragen würden. Er verschrieb mir ein krampflösendes Medikament mit den Worten „vielleicht hilft das ja“, das jedoch leider keinerlei Wirkung zeigte. Außerdem erklärte er, dass ich in 2 Monaten erneut eine Darmspiegelung machen lassen sollte.
Also ging die Prozedur im November von vorne los. Allerdings bekam ich auf eindringliches Bitten hin ein anderes Abführmittel, das ich deutlich besser vertrug, als das erste. Am Untersuchungstag traf ich auf einen neuen Arzt, mittlerweile der dritte in dieser Praxis. Untersuchung und Nachbesprechung zwecks Histologie waren auch schon von zwei verschiedenen Ärzten durchgeführt worden. Dieser Arzt war sehr freundlich, stellte sich mir vor und erklärte mir noch einmal die anstehende Untersuchung. In diesem Fall bekam ich eine Magen- und Darmspiegelung. Als ich aus der Narkose erwachte, hatte ich Schmerzen im Arm. Die Arzthelferin erklärte mir auf meine Nachfrage, dass meine Kanüle nicht richtig gehalten hätte und als sie eine weitere Dosis Narkosemittel hätten spritzen müssen, landete dieses nicht in der Vene, sondern im Arm… Schmerzhaft, aber nicht weiter tragisch.
Deutlich beunruhigender war das Gespräch mit dem Arzt nach der Spiegelung. Seine erste Frage, als ich den Raum betrat war:
„Sind Sie sich sicher, dass Sie noch keine Darm-OP hatten?“
Ich: „Ja!!??“
„Aber das kann ich nicht glauben. Sind Sie sich wirklich ganz sicher?“
„Natürlich. Ich würde es doch wissen, wenn ich eine OP gehabt hätte.“
„Hm. Ich habe ja auch keine Narbe an Ihnen gefunden. Aber ich kann es immer noch nicht glauben. Sie haben so starke Vernarbungen im Darm, die nur mit einer früheren OP zu erklären wären.“
Ich schaute wohl ziemlich hilflos…
„Naja, Sie haben ja Morbus Crohn… und nach den Ergebnissen der heutigen Spiegelung würde ich Ihnen empfehlen sich operieren zu lassen.“
Ich etwas panisch: „Aber ich dachte, bei Morbus Crohn wird nicht operiert?“
„Normalerweise nicht. Aber in bestimmten Situationen ist es ratsam.“
„Aber bisher gibt es eigentlich noch gar keine Bestätigung für die Diagnose. Es ist nur der Verdacht auf Morbus Crohn.“
„Ach so? Na, ich bin mir 100% sicher, dass das Morbus Crohn ist. Und Sie müssen, sobald die histologischen Befunde da sind, mit einer Therapie beginnen. So schnell wie möglich.“
„Aber ich habe ja auch systemischen Lupus. Könnte das nicht auch vom Lupus kommen?“
Kurzes Zögern und Schweigen: „Frau Knoblich, ich würde sagen, Sie sind ein Fall für die Uniklinik.“
Jetzt war es raus. Und ich war ziemlich froh über diese Aussage. Ich war mir einfach nicht sicher, ob die Entzündungen im Darm (mittlerweile war es nur noch eine, diese aber laut Arzt „sehr stark“) wirklich eine neue Diagnose mit sich brachten, oder ob nicht der Lupus wieder zugeschlagen hatte.
Ich wollte, dass interdisziplinär von Lupus-Spezialisten und Morbus Crohn-Spezialisten gecheckt würde, welche Ursache meine Probleme haben.
Wir vereinbarten, dass ich in 2 Wochen einen Termin für die histologische Nachbesprechung bekomme und an diesem Termin alle Befunde und Berichte für mich bereit liegen, so dass ich sie mit zu meinem Nephrologen nehmen kann und dieser dann meinen Besuch in der Uniklinik in die Wege leiten kann.
Wenige Tage nach der Untersuchung fing mein Oberbauch an zu brennen. Ich nutzte alle bewährten Hausmittel und weniger starke Medikamente, um die Schmerzen loszuwerden. Nachdem sie nach 4 Stunden noch nicht weg waren, bekam ich langsam Panik. Die Worte des Arztes hallten mir noch in den Ohren. … „Operation, damit nichts Schlimmeres passiert“ … Puh. Ich wollte nicht in die Notaufnahme. Das will ich nie, wenn ich mir nicht sicher bin, ob irgendetwas wirklich Schlimmes ist. Aber ich bekam immer mehr Angst davor einen Darmverschluss oder Darmdurchbruch zu haben. Schließlich telefonierte ich mit dem Mann meiner Cousine, der Arzt ist. Er erklärte mir, dass im Falle eines Darmverschlusses oder -durchbruchs mein Bauch sehr hart sein müsste. Das war er, Gott sei Dank, nicht. Also, erstmal beruhigen. Und nachdem es nicht besser wurde, einfach ein starkes Schmerzmittel einwerfen, damit ich in dieser Nacht etwas Schlaf abbekommen konnte. Bei meiner Hausärztin stellte sich schließlich heraus, dass die Magenschleimhaut gereizt war. Nach ca. einer Woche konnte ich auch wieder ohne Schmerzen in normaler Position schlafen. Wenigstens ging es mir nicht ganz so lange schlecht, wie nach der ersten Darmspiegelung.
Zurück zum histologischen Befund: Die Nachbesprechung fand nicht bei dem Arzt, der die Untersuchung gemacht hatte, statt. Dieser hatte mir schon in unserem Gespräch erklärt, dass er nur kurzfristig zur Vertretung hier wäre. Mir wurde wieder der Arzt meiner ersten Nachbesprechung zugeteilt. Es lief genauso ab, wie das letzte Mal: langes Schweigen und studieren des Computer Bildschirms. Klick. Klick. „Ja, also, da ist nichts herausgekommen. Aber das ist oft so bei der ersten Spiegelung.“ Ich erwiderte, dass das meine 2. Spiegelung gewesen sei. „Oh.“ Schweigen. Ich erklärte ihm, was sein Kollege mir nach der letzten Spiegelung gesagt hatte. Als ich erwähnte, dass mir eine OP empfohlen worden war, kam die weit interpretierbare Reaktion „Großer Gott!“. Er wusste auch nichts davon, dass mir die Uniklinik empfohlen worden war. Ihn interessierte dann nur, in welche Uniklinik ich wollte und dann schickte er mich zur Anmeldung, um meinen Brief und Befunde abzuholen. Leider wusste auch hier niemand Bescheid, dass ich diese mitnehmen wollte. Und es war auch nicht möglich, sie jetzt auf die Schnelle auszudrucken. Nein, den Brief nur an meine Hausärztin zu schicken, reichte mir nicht, da ich 2 Tage später die Briefe für einen anderen Arzttermin benötigte. Letztlich musste ich zwei Tage später noch einmal extra zu dieser Praxis fahren, um alles abzuholen. Ich bin normalerweise sehr verständnisvoll und weiß auch, dass im medizinischen Bereich alle grundsätzlich überlastet sind. Aber ein bisschen wütend war ich in diesem Fall schon, weil man mich auch noch so behandelte, als ob ich die Schuldige mit übertriebenen Ansprüchen wäre. Das war dann doch ein bisschen zu viel für mich… Naja, immerhin habe ich dadurch gelernt, lieber am Tag vorher noch einmal in der Arztpraxis nachzufragen, um an den Brief zu erinnern, falls man ihn dringend benötigt.
Als ich schließlich bei meinem Nephrologen ankam und ihm den Brief und die Befunde übergab, die ich selbst vorher noch nicht hatte anschauen können, erklärte er mir, dass auf dem histologischen Befund der Morbus Crohn bestätigt wäre. Spätestens ab diesem Moment wusste ich, dass ich in Zukunft eine andere gastroenterologische Praxis benötigen würde.
Um eine lange Geschichte zu einem kurzen Ende zu bringen: da ich kurz nach meiner Diagnose schon einmal in einer Uniklinik war, um eine Zweitmeinung einzuholen, habe ich dort relativ schnell und unkompliziert einen Termin bekommen. Die Aufregung um meine gestiegenen Lupus-Werte legte sich auch wieder, da sich herausstellte, dass es sich um ein falsches Blutwert-Ergebnis handelte.
Deshalb war der Rheumatologe schnell sicher, dass es sich bei mir um keine Lupus Aktivität, sondern tatsächlich um Morbus Crohn handelte. Ich musste keine weitere Darm-Spiegelung über mich ergehen lassen, sondern lediglich ein kurzes Telefonat mit der gastroenterologischen Kollegin reichte, und bekam ich eine neue Therapie-Empfehlung. Ich sollte das MMF (mein Hauptmedikament gegen den Lupus) absetzen und es durch Azathioprin ersetzen. Dieses wird sowohl gegen Lupus, als auch gegen Morbus Crohn eingesetzt.
Ende Januar wurde meine Therapie umgestellt. Seitdem hatte ich auf jeden Fall keine längere Zeit schlimme Krämpfe. Allerdings ist meine Fatigue wieder deutlich schlimmer geworden, genauso wie Muskel- und Gelenkschmerzen. Nachdem aber alle Lupus-Blutwerte trotzdem weiterhin auf keine Lupus Aktivität hindeuten, warten wir noch ein paar Wochen ab, bevor die Therapie eventuell noch einmal umgestellt werden wird.
Leider bin ich bisher noch nicht dazu gekommen, mich intensiv mit dem Thema Morbus Crohn auseinanderzusetzen. Aber ich habe fest vor, auch über diese Krankheit einen „Aufklärungs-Artikel“ in meinem Blog zu schreiben. Ich bitte noch um ein bisschen Geduld. 😉
In diesem Sinne: Bis bald. 😊