(Teil 1/3)
Hätte mir jemand während meiner Zeit im Krankenhaus im Dezember 2019 erzählt, wie mein kommendes Jahr so aussehen würde – puh, keine Ahnung, was dann passiert wäre. Ich bin auf jeden Fall froh, dass man nicht in die Zukunft schauen kann! Leben wir einfach Tag für Tag. Freuen wir uns, seien wir dankbar, lieben wir, lachen wir – oder eben: überleben wir, halten wir durch und weinen wir. Alles zu seiner Zeit.
Nicht, dass mein letzten Jahr extrem tragisch war. Ich habe unglaublich viele wunderschöne Momente erlebt und bin für vieles so dankbar! Aber es gab auch sehr viele herausfordernde Situationen und Tage oder Wochen, von denen ich einfach ungern vorher gewusst hätte…
Ich hatte schon öfter erwähnt, dass ich mit der schönen Überzeugung aus dem Krankenhaus kam, dass es mir binnen 4 Wochen wieder gut gehen würde und mein Leben im Prinzip wie bisher weitergehen könnte. Allerdings lernte ich schon bald die Auswirkungen von Fatigue (eine Art unerklärlicher (chronischer) Schlappheit, Schwäche und/oder Müdigkeit) kennen. Auch wenn ich erst im Juni erfuhr, dass das, was ich erlebe, so heißt.
Mir ging es häufig recht gut, auch direkt nach dem Krankenhaus, so dass ich langsam wieder begann Sport zu machen, um meine Muskulatur aufzubauen. Das hatten mir meine Ärzte auch dringend empfohlen. Sanfter Muskelaufbau und viel Spazierengehen sollte meine Divise sein. Meistens funktionierte das auch sehr gut. Oft freute ich mich, wenn ich, seit dem Krankenhaus, etwas wieder zum ersten Mal geschafft hatte. Z.B. einen kleinen Berg erwandern, einige Kilometer weit laufen usw usw. Trotzdem merkte ich, dass ich immer wieder ganz plötzlich sehr schlapp wurde und mich dann hinlegen und ausruhen musste. Diese Situationen wurden leider auch nicht wirklich weniger. Als ich mit meinem Arzt darüber sprach, erwähnte er andere Patienten von ihm, die das ähnlich erlebt hätten und bei denen sich nach ca. 6 Monaten alles wieder normalisiert hätte. Ich hoffte allerdings auf eine schnellere Besserung. Ende Januar fing ich wieder an zu arbeiten. Neben meinem Musiker-Dasein und meinem Studium hatte ich noch einen Nebenjob auf 450€ Basis. Ich arbeitete im Salon meiner Freundin an der Rezeption, machte also Termine aus, nahm Telefonanrufe entgegen, und half ihr außerdem bei der Gestaltung ihrer Homepage. Ich designte Flyer und Terminkärtchen für den Salon, schrieb Newsletter, half im Verwaltungsbereich und bei anderen organisatorischen Aufgaben.
Anfang Februar sang ich sogar noch einmal bei einem Konzert einer meiner Bands mit. Ich bemerkte schon, dass ich etwas langsam machen musste und dass ich mich nach allem, was ich tat, länger ausruhen musste, um mich wieder zu regenerieren. Trotzdem versuchte ich, langsam wieder ein Stück Normalität in mein Leben zu bekommen. Ich organisierte den Rahmen eines Gottesdienstes mit anschließender Feier für meinen Papa, der damit in seine „Rentenzeit“ entlassen wurde. Da er evangelischer Pfarrer ist, geschieht das üblicher Weise mit einem Gottesdienst. Dank vieler Freunde und Helfer und dank meines Mannes, der versuchte mir so viel körperliche Arbeit wie möglich abzunehmen und der mich, sofort nachdem die Feier halbwegs vorbei war, nach Hause schickte und mir verbot beim Aufräumen zu helfen, habe ich diese Aktionen recht gut überstanden. Allerdings bemerkte ich, dass meine Stimme sich weiter verschlechterte. Deshalb wollte ich so schnell wie möglich mit der neuen Diagnose noch einmal zu meiner Phoniaterin (eine auf Stimme spezialisierte HNO-Ärztin). Tatsächlich bekam ich innerhalb von 3 Tagen einen Termin. Und zwar einen der letzten Termine, bevor diese Ärztin in Rente ging.
Es war Ende Februar und die Organisation der Feier vom letzten Wochenende hatte mich wohl doch etwas mehr mitgenommen, als beabsichtigt. Ich fühlte mich schon leicht schlapp, hatte plötzlich Husten und die Aussage der Phoniaterin gab mir wahrscheinlich gar den Rest: „Ja, kein Wunder, dass Ihre Stimme da nicht mehr mit macht. Ihr Körper hat ja überhaupt keine Kraft, um Regenerationsarbeit in die Stimme zu legen. Er ist da an anderen Stellen genug ausgelastet. Keine Ahnung, ob Ihre Stimme irgendwann wieder gut wird. Aber, doch, ich glaube das schon. Aber das braucht Zeit. Ich würde sagen, dass Sie Ihrer Stimme schon mindestens ein Jahr geben müssen, um sich zu erholen.“
Bähm. Das saß. Wenn ich eines gehofft hatte, dann, dass durch diese Diagnose und die entsprechende Therapie auch meine Stimme wieder auf die Beine kommt. Ich hab natürlich erst mal geheult. Und nachdem es mir gar nicht gut ging, bin auch nicht zur Arbeit gegangen. Vor ein paar Wochen erst angefangen zu arbeiten, schon war ich wieder krank :/. Die Hausärztin schrieb mich am nächsten Tag gleich eine Woche krank. Fieber hatte ich, Gott sei Dank, keines. Allerdings hatte ich am selben Tag noch einen weiteren Arzttermin. Ich wollte ja gerne noch Zweitmeinungen einholen, also hatte ich einen Termin bei einem anderen Nephrologen ausgemacht. Ich brachte ihm meine sämtlichen Arztbriefe und Diagnosen mit. Er war sehr nett und nahm sich extrem viel Zeit, um meinem Mann und mir noch mal alles zu erklären. Erst in diesem Moment verstand ich wohl so richtig, wie ernst die Situation eigentlich war, und wie dankbar ich sein konnte, dass meine verhältnismäßig harmlosen Medikamente so gut wirkten. Dieser Nephrologe z.B. hätte mich mit Cyclophosphamid, einer Chemotherapie, behandelt. Das ist eine andere Therapie-Möglichkeit für Lupus Nephritis, die allerdings wesentlich stärker ist und somit natürlich auch heftigere Nebenwirkungen hat. Er erklärte uns, dass er grundsätzlich mein Medikament nicht mehr einsetzte, nachdem einmal eine junge Patientin gestorben war, die er „nur“ mit MMF behandelt hatte. Er meinte, ich könnte sehr froh sein, dass meine Blutwerte schon so viel besser wären.
Auch diese Informationen musste ich verarbeiten. Die Erkenntnis über die Schwere der Krankheit musste sich setzen, bzw. auch die Dankbarkeit, dass meine „leichteren“ Medikamente wirkten.
Eine Woche später arbeitete ich noch genau einen Tag. Schon an diesem Tag sagte eine Kollegin von mir, dass sie es eigentlich nicht gut fände, dass ich noch arbeite, da ich wegen diesem neuen Corona-Virus vorsichtig sein solle.
Bis dahin hatte ich mir tatsächlich kaum Gedanken wegen diesem Virus gemacht. Außer, dass ich nicht zu einem Konzert gegangen war, für das ich schon Karten gekauft hatte. Davon hatte meine Ärztin mir abgeraten. Schon im Krankenhaus hatte man mich vor großen Menschenmengen gewarnt und vor kranken Familienmitgliedern und Freunden. Ich sollte kranke Menschen lieber nicht besuchen, da wegen meiner Medikamente auch eine Grippe sehr gefährlich für mich sein könnte…
Ich war bisher eher ein Mensch gewesen, der sich keine Sorgen gemacht hatte, sich mit irgendetwas bei irgendwem anzustecken. Seit den Warnungen war ich definitiv etwas vorsichtiger und wollte ja auch verantwortungsvoll mit der Situation umgehen. Aber diese großen Hypes um irgendwelche neuartigen Viren hatte ich bis zu diesem Moment nicht weiter ernst genommen. Ich fand das immer eher übertrieben.
Und dann kam dieser besagte Montag, der 9. März. Zum ersten Mal bat mich auch meine Familie, nicht mehr arbeiten zu gehen. Am Abend rief mich meine Freundin, die ja auch meine Chefin war, an. Sie ist Italienerin und hatte die Nachrichten aus Italien gesehen. Sie sagte mir, ich solle mich krank schreiben lassen, sie mache sich riesige Sorgen. Aber so leicht war das Krankschreibenlassen in diesem Moment nicht. Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit der Arzthelferin, die meinte, dass sie doch jetzt nicht jeden krank schreiben könnte, nur weil die Leute Angst hätten. Die Ärztin hat mich dann aber, Gott sei Dank, ohne Widerrede krank geschrieben.
Und ab diesem Zeitpunkt kam die Panik dann langsam auch bei mir an. Ich war zusätzlich sehr beunruhigt, weil wir in einer WG lebten und ich ja nicht beeinflussen konnte, mit wem und mit wie vielen Menschen unsere Mitbewohnerin sich traf. Dann hatten wir allerdings die Idee, die ersten Wochen des Lockdowns im Ferienhaus von meinen Schwiegereltern zu verbringen. Das liegt im schönen Frankenwald.
In den ersten 2 Wochen in unserem neuen Domizil hatte ich noch 2 Arzttermine zu absolvieren. Der erste Termin war bei einem Lungenspezialisten, da der Husten nicht mehr aufhörte, und ich seit meiner Zeit im Krankenhaus immer mal wieder leichte Schmerzen im Lungenbereich hatte. Außerdem hatte ich häufig das Gefühl nicht ganz so gut Luft zu bekommen (was mich in den ersten Wochen nach meiner Entlassung auch 2x in die Notaufnahme getrieben hatte). Dieser Arztbesuch war meine erste Begegnung mit der „neuen Corona-Welt“… Benny hatte mich bisher bei allen Arztterminen begleitet und durfte nun nicht mehr mit in die Praxis. Das Praxispersonal trug Masken und ich durfte immer nur an den Tresen kommen, um meine Karte hinzulegen, oder um Papierkram entgegenzunehmen, wenn die Dame hinter dem Tresen einige Schritte zurück getreten war. Ein seltsames Gefühl, das bald neue Realität werden sollte. Nichtsdestotrotz gab es gute Neuigkeiten. Mit meiner Lunge war alles in Ordnung, Lungenfunktion ganz normal. Das beruhigte mich sehr. Auch wenn ich nicht wusste, woher meine Probleme denn dann kamen, war es ungemein erleichternd, dass meine Lunge auf jeden Fall nicht das Problem war. So traute ich mich zum ersten Mal wieder etwas längere und anspruchsvollere Wanderungen zu unternehmen. 🙂
Der zweite Termin war bei einem Lupus-Spezialisten in Dresden, bei dem ich mir ebenfalls eine Zweitmeinung einholen wollte – diesmal ein Rheumatologe. Hier bekam ich zum ersten Mal eine Maske, bevor ich die Praxisräume betreten durfte. Dr. Aringer war sehr nett und nahm sich ausführlich Zeit für mich. Ich nahm unser Gespräch auf (natürlich hatte ich um Erlaubnis gefragt), um es mit Benny im Nachhinein noch einmal anhören zu können. Dr Aringer beruhigte mich mit seiner zuversichtlichen Art und meinte, dass meine Schmerzen und Luftprobleme vom Rücken kämen. Er zeigte mir Übungen, die helfen sollten. Außerdem empfahl er mir, wieder mit dem Joggen anzufangen. Auf diese Aufforderung eines Arztes hatte ich eigentlich nur gewartet ;). So fuhren wir wieder nach Hause und ich war überglücklich.
Ich konnte es kaum er warten, mit der ersten kleinen Runde loszulegen. Seit Oktober zum ersten mal wieder zu joggen war ein wunderschönes Erlebnis – auch wenn ich bemerkte, dass die kleine Runde schon anstrengend genug war. Die zweite Runde war einen Tick größer und ging etwas besser. Schon bald konnte ich die kleinere Variante meiner Lieblingslaufrunde schaffen, fühlte mich wesentlich fitter und hatte, abgesehen vom Husten, kaum noch Schmerzen oder Probleme. Ich ging fest davon aus, dass es von jetzt an aufwärts gehen würde.
In der Zwischenzeit waren wir wieder Zuhause. Die Zeit im „Outback“ hatten wir sehr genossen. Die Nähe zur Natur, die Ruhe, die vielen Spaziergänge und Wanderungen hatten meinem Körper und meiner Seele gut getan. Zurück in der Stadt und in unserer WG war auch alles in Ordnung, da man sich sowieso mit niemandem treffen durfte und die Zahlen weiter nach unten gingen. Die Angst vor einer Ansteckung wurde immer kleiner…
Fortsetzung folgt ;).
Das Beitragsbild ist vom wunderbaren @baer_lukas .